Kein Sekt für Ilona

ISBN: 978-3-942849-40-1
Hauptkommissar
Ruppert und seine Assistentin, Hilde Horn, werden zur Leiche des Pensionärs
Doktor Dammler, ehemals Ressortleiter beim Hessischen Rundfunk, ins Frankfurter
Westend gerufen. Es sieht nach Selbstmord aus, doch Ruppert ist skeptisch.
Der Sohn des Toten,
Harry, ein Schauspieler und vom Vater gerade enterbt, steht unter Verdacht, und
so auch die Gäste, die der Verstorbene zu einem familiären Abendessen geladen
hatte. Das sind: Frau Ilona Lombke, eine Hörfunkjournalistin und frühere
Freundin von Harry, ferner Ilonas Eltern und ihre Lebensgefährtin Jennifer
Demmin.
Die Vorgeschichte
des Mordes ist reich an dramatischen Wendungen, die sich um die Schwangerschaft
der Hörfunkjournalistin Ilona Lombke ranken. Sie lässt den Leser zuweilen
vergessen, dass es sich hier um einen Krimi handelt. Doch am Ende klärt sich der
Tod des Doktor Dammler zusammen mit der Ermordung eines jugendlichen
Homosexuellen überraschend dadurch auf, dass ein entscheidender Hinweis aus dem
Privatleben der Kommissarin Hilde Horn kommt.
Auszüge aus einer
Rezension von Ralf Julke in der Leipziger Internetzeitung (Dezember 2015):
Es ist ja nicht so
einfach mit dem Krimischreiben. In welche Rolle schlüpft man nun? In die der
Ermittler? Die der Täter? Oder die einer verwirrten Öffentlichkeit? Es gibt
Autoren, die können sich nicht entscheiden und versuchen dann - wie Martin Lenz
- zwei Geschichten in einer zu erzählen. Oder drei. Denn Verbrechen sind ja
alles andere als das, was der moderne Mediennutzer meist glaubt: eindeutige
Ereignisse.
Was übrigens auch
ein Grund dafür ist, dass das Krimi-Genre seit ein paar Jahren blüht und gar
nicht genug Krimis geschrieben werden können, um das Leserinteresse zu
befriedigen. ... Kein Genre hält der
Gesellschaft so den Spiegel vor, zeigt die schmutzigen Ecken genauso wie die
moralischen Abgründe der feinen Gesellschaft.
Oder - wie Lenz in
diesem Fall - dem Leser ein paar wirklich kaputte Gestalten des heutigen
Frankfurt. Im Mittelpunkt - auch wenn das anfangs so scheint - nicht das emsige
Ermittler-Duo Ruppert und Horn, das sich nun mit dem etwas unerwarteten Tod
eines frisch pensionierten Ressortleiters des Hessischen Rundfunks beschäftigen
muss. Ein Fall, der erst einmal ganz einfach und sauber wirkt. Und er führt auch
nicht in die korrupte Welt des deutschen Rundfunks, von Auftragsschiebereien
oder politischer Einflussnahme. Schade, sagt sich das immer wache Gemüt des
politisch geschulten Lesers.
Erst recht, wenn so
nebenbei auch noch ein Protagonist überall verkündet, er werde ein Buch über
echte kriminelle Machenschaften veröffentlichen, die die Republik erschüttern
werden. Davon erfährt man später auch etwas.
Aber Martin Lenz ist
einer, der eher mit dem analytischen deutschen Roman der 1950er und 1960er Jahre
aufgewachsen ist. Das hatte damals Stil. Man denke nur an Franz Josef
Degenhardt, der in seinen sozialkritischen Romanen die von Stereotypen geprägte
Gesellschaft jener Zeit untersuchte, die heute so gern als 'Wirtschaftswunder'
gepriesen wird.
....
Die Welt, die Martin
Lenz schildert, ist so eine vom Karrieredenken besessene Welt. Und die zentrale
Figur Ilona, die beim Hessischen Rundfunk schon ein Stück Karriere gemacht hat,
ist ein Ausbund dieses Denkens, was dem Leser erst so langsam deutlich wird. Man
will sich ja gern identifizieren mit der Hauptfigur. Gerade weil sie
augenscheinlich heftig zu kämpfen hat nach der Entdeckung des Toten, etwa mit
ihrer Herkunft in einem kleinen Kaff in der Nähe von Frankfurt, in dem die
Gemüter kochen und wo die Dagebliebenen sich die Mäuler zerfetzen, nachdem Ilona
sich auch noch im Fernsehen geoutet hat. Was für eine "Schande" für ihren Vater,
der da leben muss, in dieser kleinen Welt der gegenseitigen Abhängigkeiten, wo
jeder jeden kennt und jeder glaubt über andere urteilen zu dürfen. Nirgendwo ist
der Anpassungsdruck so groß wie in der deutschen Provinz. Und die Romane, die
sich mit dieser piefigen und beklemmenden Welt beschäftigen, sind mittlerweile
Legion.
Ilona stellt sich
dem zwar und macht dabei einige auch für sie überraschende Entdeckungen. Aber
sie ist in diesem Buch nicht die einzige, die für den Ausbruch aus dieser
Piefigkeit einen teuren charakterlichen Preis gezahlt hat. Das merkt der Leser
spätestens, wenn der Autor ihre Gedanken über ihre Lebensgefährtin, ihre
Kollegen, 'Freunde' und die Menschen wiedergibt, die jetzt im Leben ihres Vaters
auf einmal eine Rolle spielen - Italiener und Polen.
Hoppla, sagt man
sich so beim Lesen, da hat man ihn auf frischer Tat ertappt, den arroganten,
allseits waltenden ganz gemeinen und normalen deutschen Alltagsrassismus, der
vor allem eines ist: tiefste Verunsicherung in der eigenen Rolle.
Das wird spätestens
an der Stelle deutlich, als Ilonas Vater mit einem Frankfurter Taxifahrer sein
Feldbusch-Abenteuer hat, eine kleine Anekdote eigentlich, in der Lenz die Suche
das Mannes nach dem richtigen Umgang mit der zusehends komplizierter gewordenen
Welt deutlich macht. Immerhin musste er eben schon das Outing seiner Tochter
verdauen. Jetzt versucht er den Fahrer, der dann auch noch verrät, dass er
Wurzeln in Marokko hat, mit der heute so typischen deutschen Lockerheit zu
nehmen - doch die ganze Fahrt über ist er von der Panik besessen, nun ja nicht
irgendwelche rassistischen Vorurteile gucken zu lassen. ...
Von einem wirklich
selbstverständlichen und vorurteilsfreien Umgang mit Menschen aus anderen
Ländern, sind wir meilenweit entfernt. Und im kleinen Spielfeld
Unterpfeffersheim wird deutlich, wie das fortlebt und wirkt - auch dann, wenn
eigentlich Italiener und Polen längst diejenigen sind, die die Wirtschaft in
diesem Nest am Laufen halten. Wenn auch - wie in diesem Fall - mit nicht ganz
durchsichtigen Geschäften. In einer Gesellschaft, die so wenig bei sich ist,
reduziert sich die gepflegte Gemeinsamkeit dann nur noch auf zwei Dinge: auf die
berufliche Karriere und aufs Geld (und den Besitz). Das ist dann die
bundesdeutsche Gesellschaft in nuce.
Und man merkt, dass
sich der 1933 in Halle an der Saale geborene Autor, der nach seinem Studium in
den Westen wechselte, diesen etwas kritischen und leicht verstörten Blick auf
diese Gesellschaft bewahrt hat, auch wenn er ein paar Jahre im hessischen
Schuldienst tätig war. Oder vielleicht auch gerade deshalb. Und nun im höheren
Alter verarbeitet er seine skeptische Sicht auf die hessische Provinz in
Büchern, die irgendwie die Anlage zum Krimi haben, aber noch viel stärker zur
Analyse der Verwerfungen in einer Gesellschaft neigen, die ihre eigentlichen
Probleme gern versteckt und in der sich Typen wie Ilona als die Gewinner sehen.
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