Sonnyboy

Sonnyboy

ISBN: 978-3-89969-073-6   12,90

Rezension von Prof. Dr. A. Schmidt:

„In Romanen spiegelt sich das Leben und Denken eines Autors, auch wenn er selbst direkte autobiografische Bezüge bestreitet. Doch zwölf Jahre NS-Zeit, zwölf Jahre realer Sozialismus und über fünfzig Jahre eines kleinstädtischen Familienlebens, geprägt von einer rührigen Ehefrau und zwei eigenwilligen Kindern, das lässt sich nicht wegschieben, wenn einer wie Martin Lenz seine Fantasie spielen lässt.

Den Stoff dazu liefern einige Jahrzehnte im Schuldienst und ausgedehnte Fahrten in die letzten Ecken Europas zu einer Zeit, als man noch mit Mini-Zelt und Kleinwagen reisen musste, als es die organisierten und allseitig abgesicherten Touren in alle Welt noch nicht gab. Die anderen Kontinente interessieren den Autor von ‚Sonnyboy’ weniger, abgesehen von Brasilien und Namibia, wo sein Bruder jahrelang gearbeitet hat, und Kanada, das er von West nach Ost durchstreift hat, um seine Schwester zu besuchen. Sie hat dort an der Pazifikküste eine neue Heimat gefunden.

 

Bedeutsamer als die äußeren Lebensumstände, als Reisen und familiäre Veränderungen sind die Überzeugungen, die Philosophie, auf der die Fantasie eines Schreibers Spannungen aufbaut. Lenz macht es den Lesern nicht leicht, eine weltanschauliche Richtung zwischen den Zeilen zu entdecken.

In dem Roman ‚Sonnyboy’ geht es um eine Männerfreundschaft zweier Journalisten, von denen einer, Harry, der Sonnyboy, zwischen Ost und West pendelt, viele Projekte angeht und sich mal kirchlich mal parteipolitisch engagiert, während der andere, Lutz, der Ich-Erzähler, ein strapaziöses, aber beständigeres Journalistenleben führt und sich nur hin und wieder von Harry zu Abenteuern überreden lässt. Diese führen oft hart an Katastrophen vorbei.

Einmal reisen die beiden nach Brasilien, wo sich Lutz bald allein und verlassen im Urwald und später im Trubel der Großstädte Sâo Paulo und Rio wiederfindet. Ein andermal fahren sie nach Berlin zu den Jubelfeiern der untergehenden DDR (Oktober 1989) und erleben dort Elend und Größenwahn des praktischen Sozialismus.

Diese beiden höchst unterschiedlichen Fahrten sind die Höhepunkte des Romans, beide sind farbkräftig ausgeschmückt und beruhen auf authentischen Quellen. Brasilien hat der Autor aus dem Munde seiner Schwägerin, einer Brasilianerin aus Recife, kennengelernt, und zwar besser, als es einem flüchtigen Touristen möglich ist. Die DDR kennt er aus eigener Erfahrung, und von den Turbulenzen des Wendejahres hat ihm eine Augenzeugin, die Schwester seiner Ehefrau, wirklichkeitsnah berichtet. Ob die beiden Schwägerinnen allerdings mit dem einverstanden sind, was im ‚Sonnyboy’ aus ihren Informationen gemacht wurde, sei dahingestellt.

Ein Roman ist schließlich kein Erlebnisbericht und schon gar keine Tatsachenbeschreibung, ein Roman schafft aus Teilen der Realität einen neuen Raum für Gefühle und Ansichten und manchmal für ideologische Aussagen.“

 

Im ‚Sonnyboy’ trifft ein bunter Reigen von unterschiedlichen Charakteren zusammen: Studenten, freundliche Nachbarn, Spiritisten, Priester, SED-Funktionäre, ein jüdischer Homöopath, ein alter Buchhändler, ein Bankdirektor aus Zürich und viele andere und alle gruppiert um die stille Hintergrundfigur Hilde, genannt Hilly, Tochter eines DDR-Majors, ein leidgeprüftes Mädchen, das nach dem erzwungenen Abbruch einer Schwangerschaft in den Westen flüchtet und sich durchbeißen muss, bis es in Lutz einen verständigen Freund und in Harry einen gehässigen ‚Verehrer’ findet.

Wie diese Frau, die keine Kinder mehr bekommen konnte, doch zu einer liebevollen Mutter wird und wie sie ihre von vielen Seiten bedrohte Ehe schützt, das entwickelt der Roman in einer schnellen und schwungvollen Szenenfolge, frech modern und in der Tiefe doch wertkonservativ - ein scheinbar unvereinbarer Gegensatz.

Der Schreibstil des Autors ist erfreulich schlicht und klar, da er auf avantgardistische Eskapaden verzichtet und den Leser nicht mit gewagten Metaphern verärgert. Eine lesenswerte Neuerscheinung des Jahres 2008.